Auf der Sterbestation der Ideologien

20.04.2011                      16.Nisan, 5771                      Pessah 2; Tag 1 des Omer

Aufführung:

Auf der Sterbestation der Ideologien

Dieter Giesings schaurig-kühler "Professor Bernhardi" am Burgtheater.

So sieht er aus, der Seziersaal einer Epoche: Riesig hoch ist er ins Burgtheater hineingebaut, seine Wände ragen blendend weiß in den Zuschauerraum. Aber nur die Atmosphäre ist hier steril, denn Arthur Schnitzlers Komödie "Professor Bernhardi" ist infiziert mit Ärzten. Alles ist im kleinen medizinischen Kollegium des Elisabethinums vertreten. Linke Anarchisten und Deutschnationale, Juden, Klerikale und Konvertiten, träumerische Menschenfreunde und zukunftsweisende Opportunisten, wie der Tiroler Kandidat der Medizin mit Namen Hochroitzpointner.
Der hospitiert schon einmal auf allen Abteilungen, während sich die Familie des exjüdischen Laryngologen Dr. Schreimann vom Samuel bis zum Siegfried erfolgreich ins deutsche Wesen hineinassimiliert hat. Identifikationsfiguren gibt es im "Professor Bernhardi" praktisch keine. Es ist das Sittenbild einer Sepsis, von der längst nicht nur ein unschuldiger Mädchenkörper befallen ist, sondern das, was man gemeinhin die Gesellschaft nennt. Dem zeitgenössischen Zensor ist das natürlich nicht entgangen. Die "hierländischen Zustände" seien in einer Weise dargestellt, die einer Wahrung der öffentlichen Interessen zuwiderlaufe, hieß es in seinem Bescheid vom Januar 1912. Eine Aufführung könne deshalb nicht genehmigt werden. Recht hatte Arthur Schnitzler mit seiner Diagnose sofort, auf die erste Wiener Inszenierung musste der Autor sich noch bis 1918 gedulden, da gab es freilich auch keinen Zensor mehr….