Diktatur der Gefühle

25.09.2012                      09.Tischrei. 5773                       Erew Jom Kippur

Essay:

Diktatur der Gefühle

In unserer säkularen Gesellschaft dominieren die Emotionen. Warum scheint es manchmal, als ob sie das Einzige sind, was überhaupt noch Wert oder Aussagekraft besitzt?

Es gibt Leute, bei denen hat das Volk immer recht, auch wenn es sich lediglich um einen gewalttätigen Mob handelt. Und es gibt Menschen, die sich wie eine schwindsüchtige Jungfrau aufführen, die schon bei einem groben Wort in Ohnmacht fällt. Jedenfalls wenn es um verletzte Gefühle geht. Um verletzte religiöse Gefühle. Allerdings nicht um die eigenen. Nur wenn es den Islam betrifft, werden angezündete Gebäude, tote und verletzte Menschen als Petitessen hingenommen, wenn nicht gar verständnisvoll abgenickt: Man muss das verstehen, da wurden Gläubige unerträglich provoziert, da entstehen Zorn und Wut, da geht schon mal was daneben. Und irgendwie sind immer die USA und/oder Israel schuld, das ist schon gute Tradition hierzulande. Da vergisst man schnell, dass wir im Moment einen Machtkampf unter Muslimen erleben, nicht den gerechten Befreiungskrieg vom amerikanischen Imperialismus. Die westliche Selbstbezogenheit zeigt sich noch in dem Impuls, sich verständnisvoll über fremde Kulturen zu beugen und auf die eigene Seite als die des eigentlich Schuldigen zu deuten….