„Aufs Diesseits fixierte Weltsicht“

05.07.2012                      15.Tammus. 5772

Interview:

"Aufs Diesseits fixierte Weltsicht"

Die Zustimmung zum Kölner Beschneidungsurteil geht über die Vorbehalte gegen das Judentum und den Islam hinaus, sagt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani.

Herr Kermani, trotz des Protests von Juden und Muslimen unterstützen die Deutschen mit großer Mehrheit ein Verbot der Beschneidung. Überrascht Sie das?
Nein. Hier brechen Muster auf, die sich über Jahrhunderte tief ins kulturelle Bewusstsein eingelagert haben. Man darf ja nicht vergessen, dass sich die europäische Kultur historisch auch durch die Abgrenzung vom Judentum und durch den Antisemitismus konstituiert hat. Und dabei waren die Vorbehalte gegen die Beschneidung als „barbarischer Akt“ eines der zentralen Motive von Anfang an. Natürlich sage ich nicht, dass jeder, der die Beschneidung verbieten will, Anti-Semit sei. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass bestimmten gesellschaftlichen Reaktionen – aber auch den Wahrnehmungen dieser Reaktionen – tiefliegende, durchaus auch unbewusste kulturelle Muster zugrunde liegen….